Gegenwärtig ist zwar belegt, dass der COVID-19-Impfstoff mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Erkrankung an COVID-19 verhindert, also eine sogenannte klinische Immunität herbeiführen kann. Jedoch mangelt es nach wie vor an wissenschaftlichen Studien, die nachweisen, dass gegen COVID-19 geimpfte Personen den hochinfektiösen Virus nicht weiterübertragen können (sogenannte sterile Immunität).
Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention schützt das Privat- und Familienleben auf verfassungsrechtlicher Ebene und spricht grundsätzlich gegen eine Impfpflicht. Allerdings enthält diese Bestimmung unter anderem auch einen Gesetzesvorbehalt „zum Schutz der Gesundheit“, der den Weg zu gesetzlichen Ausnahmen von diesem Grundrecht auch in Bezug auf eine Impfpflicht öffnen kann. Mit Ausnahme von § 17 Abs. 3 Epidemiegesetz 1950, der auf ausgewählte Gesundheitsberufe abstellt, fehlt allerdings zurzeit eine österreichweite gesetzliche Grundlage, nach der die Notwendigkeit einer Schutzimpfung für die Berufsausübung angeordnet werden könnte.
Als Arbeitgeber einen Bewerber nach seinem Impfstatus zu fragen, kann rechtlich zulässig sein. Ob diese Frage zulässig ist, hängt insbesondere von der Art der auszuübenden Tätigkeit und der damit einhergehenden Gefährdung sowohl der Gesundheit anderer (wie bspw. von Kollegen oder Kunden bzw. Patienten) als auch der Gesundheit des potentiell zukünftigen Arbeitnehmers (Dienstunfähigkeit) ab. Zulässige Fragen sind von einem Bewerber wahrheitsgemäß zu beantworten. Die Weigerung einer Antwort rechtfertigt daher die Einstellung eines anderen Bewerbers. Wird aufgrund einer wahrheitswidrigen Antwort ein Dienstverhältnis begründet, kann dies in weiterer Folge eine Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit rechtfertigen.
Im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Impfpflicht im aufrechten Dienstverhältnis sind unterschiedliche Rechte und Interessen zu berücksichtigen: auf Arbeitnehmerseite insbesondere das Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Arbeitgeberseite insbesondere wirtschaftliche Überlegungen (wie bspw. die Vermeidung von Krankenständen in der Belegschaft) und Haftungsinteressen, sowohl in Bezug auf Kunden als auch in Bezug auf die eigenen Arbeitnehmer.
Wichtig ist auch, die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die unter anderem die Vorsorge für den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer umfasst, zu beachten.
Sofern im Rahmen einer Gefahrenevaluierung der konkreten Tätigkeit eine besondere Gefährdung des Arbeitnehmers in Bezug auf die Ansteckung mit einer hochinfektiösen Viruserkrankung wie COVID-19 festgestellt wird, kann eine Vorsorge durch Impfung als bestmöglichem Schutz vor Erkrankungen beachtlich werden. Eine solche besondere Gefährdung kann insbesondere bei zahlreichen Gesundheitsberufen bestehen. Allerdings kann wohl nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche besondere Gefährdung überdies bei anderen „körpernahen“ Tätigkeiten oder bei dichtgedrängten Arbeiten in Produktionsstätten vorliegen kann.
Insoweit ein nicht geimpfter Arbeitnehmer in seiner bisherigen Tätigkeit aufgrund des fehlenden Impfschutzes nicht mehr eingesetzt werden kann, kann dies von seiner Versetzung bis zur Beendigung seines Dienstverhältnisses führen.
Unter Berücksichtigung der konkreten Tätigkeit und der mit ihr verbundenen Gefährdung kann es rechtlich zulässig sein, als Arbeitgeber einen Bewerber nach seinem Impfstatus zu fragen. Dabei ist zu beachten, dass zulässige Fragen von einem Bewerber wahrheitsgemäß zu beantworten sind.
Solange keine verfassungskonformen gesetzlichen Regelungen geschaffen werden, die eine entsprechende Impfpflicht vorsehen oder wissenschaftlich belegbar ist, dass der COVID-19-Impfstoff eine Weiterübertragung des hochinfektiösen Virus ausschließt, kann das Erfordernis der Impfung von Arbeitnehmern gegen COVID-19 bei Tätigkeiten, die mit einer besonderen Gefährdung der Arbeiternehmer verbunden sind, aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers argumentiert werden.